1000 Männer, so wird gesagt, feierten, tranken, klauten an Silvester 2015/2016 vor dem Kölner Hauptbahnhof. Erst mal kein Thema für uns als Gruppe, die sich doch hauptsächlich mit den Themen Geflüchtete, Rassismus und Grenzen beschäftigt. Doch 1000 Männer und über 600 Vergewaltigungen und andere sexuelle Übergriffe gegen Frauen* ließen diese Nacht zu einem Thema für alle werden. Gewalt gegen Frauen* sorgte für einen medialen Aufschrei und machte weite politische und gesellschaftliche Diskussionen notwendig! Medien begannen zu berichteten, die Polizei bezog Stellung, Politiker*innen diskutierten und vermeintliche Verantwortliche mussten ihren Posten räumen. Immer mehr Frauen* stellten fest, dass ihnen plötzlich geglaubt wird, wenn ihnen sexualisierte Gewalt widerfährt. Immer mehr Anzeigen auch aus anderen Städten gingen bei Polizeibehörden ein.
Ein außergewöhnlicher Umgang mit dem Zutagetreten des in Deutschland tief verwurzelten Seximus‘. Bisher wurden Vergewaltigungen und sexuelle Übergriffe gegen Frauen* größtenteils verharmlost und Betroffene nicht ernst genommen, denn in der breiten Gesellschaft wie auch in der Institution Polizei herrscht doch weiterhin ein patriarchales Weltbild.
Wie sich schnell zeigte, ist der Umgang dann doch nicht so außergewöhnlich, sondern passt in die Kontinuität rassistischer Instrumentalisierungen gesellschaftlicher Probleme durch verschiedene Akteur*innen. Mensch sollte meinen, es ist klar, wer hier die Täter sind. Nämlich Männer! Doch Polizei und Betroffene erkannten in den Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe offensichtlich vor allem „Nordafrikaner“ und „Araber“. Alltagsrassismus, wie er in Deutschland üblich, zu verurteilen und zu bekämpfen ist! Schnell sprangen rassistische Kräfte aus Polizei, SPD, CDU und anderen Akteur*innen auf und erkannten auch diese Gruppen als wahre Täter. Schnell spielten Sexismus und die Ursachen vor allem Folgen der Vergewaltigungen und anderen sexuellen Übergriffe überhaupt keine Rolle mehr. Dies ist auch ein Faustschlag in die Gesichter der von sexualisierter Gewalt Betroffenen. Die häufigsten Übergriffe auf Frauen*, nämlich die in nicht-öffentlichen Bereichen wie Familien, Freundeskreisen usw. haben es gar nicht erst geschafft, erwähnt zu werden.
Als die Polizei auch noch feststellte, dass unter den Tatverdächtigen Geflüchtete sind, war alles klar. Der Großteil in Polizei, SPD, CDU, NPD und AfD bildeten eine Gesinnungsfront gegen „kriminelle Ausländer“. Die traditionelle Forderung der NPD, „Kriminelle Ausländer raus!“, wird nun genauso von CDU und SPD in Gesetz gegossen. Plötzlich sind zahlreiche Razzien und Ermittlungen gegen Geflüchtete notwendig, bei denen ein Bezug zu Köln lediglich konstruiert wird. Menschen mit nicht deutscher Staatsangehörigkeit werden eben nicht als Menschen behandelt, sondern als etwas weniger Wertes. Für sie gilt nicht das normale Gesetz. Sie werden jetzt noch häufiger – nicht selten in Tod oder Folter – abgeschoben! Eine Verankerung umfassender sexueller Selbstbestimmung von Frauen* in deutschem Recht gibt es weiterhin nicht. Die Betroffenen spielen ja auch keine Rolle mehr. Denn es geht nur um eins: Endlich darf offen rassistisch gehetzt werden, zumindest gegen „Nordafrikaner“ und „Araber“.
Medien berichten inzwischen hauptsächlich über Köln als Massenstraftat von „Nordafrikanern“ oder organisierter ausländischer Kriminalität. Ein städtisches Schwimmbad schmeißt kollektiv alle geflüchteten Männer raus, es bilden sich bewaffnete Bürgerwehren (aus Männern), um deutsche Frauen* zu beschützen. Diese bewaffnen sich ebenfalls. Öffentlich rechtliche Medienanstalten greifen dieses Thema auf, berichten munter rassistisch weiter und zeigen großes Verständnis für eine Bewaffnung mit Pfefferspray und Schreckschusspistolen. Beide Waffen sind potentiell tödlich – ihr Einsatz gegen Menschen in Deutschland steht unter Strafe. In der Öffentlichkeit wird Angst vor nicht weißen Männern geschürt. Weiße Täter werden bei Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen gegen Frauen* weiterhin unsichtbar gemacht. Und die nächsten traditionellen deutschen Massenübergriffe stehen schon wieder vor der Haustür. Am 8. Februar ist Rosenmontag.
Durch die Verkehrung der sexualisierten Gewalttaten gegen Frauen* an Silvester in eine rassistische Argumentation für zutiefst rassistische und nationalistische Forderungen wird eine Reflexion des starken Sexismus in Deutschland aktiv verhindert und andererseits rechtsradikalen und rassistischen Ideologien der Weg bereitet – von einigen Akteur*innen bewusst, von anderen unbewusst. Jedenfalls machen sie sich alle zu Mittäter*innen schon geschehener und kommender rassistischer Übergriffe.
Solidarität mit allen von Rassismus Betroffenen! – Solidarität mit allen von sexualisierter Gewalt Betroffenen!
Frauen*: Wir verwenden diese Schreibweise, um als weiblich wahrgenommene Menschen zu beschreiben.